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Es ist nicht alles gut.


Immer wenn Menschen mich fragen „Wie geht’s?“ oder „Alles gut?“, werde ich erst einmal still. Das liegt daran, dass ich ein kommunikativer Mensch bin und Fragen gerne ausführlich und ehrlich beantworte. Also denke ich nach, bevor ich antworte. Wenn ich die obigen oder ähnliche Fragen höre, muss ich erst einmal überlegen, ob derjenige, der mir sie stellt, überhaupt eine ehrliche Antwort haben möchte.


Mir ist natürlich bewusst, dass es sich bei einem „Alles gut bei dir?“ in der Regel gar nicht um eine echte Frage handelt. Es ist eine freundliche Floskel, die oft nicht viel mehr ist als der Auftakt zu einem eher oberflächlichen Gespräch. Dummerweise aber fällt es mir schwer, oberflächliche Gespräche zu führen. Für Smalltalk bin ich einfach nicht gebaut. Und ich habe in meinem nun bald sechzig Jahre währenden Leben zu viel gesehen und erlebt, als dass „Gut“ oder „Alles ok“ die Antwort meiner Wahl wäre. Eher antworte ich mit einer Gegenfrage: „Willst du das wirklich wissen?“


Manchmal wünsche ich mir, ich könnte einfach „Alles gut“ sagen. Aber zu viel treibt mich um, das ganz und gar nicht gut ist. Das betrifft nicht nur äussere Entwicklungen, sondern viel öfter noch mich selbst. In meinem Inneren ist nicht alles gut.


Da ist zum Beispiel mein Egoismus. Immer wieder stelle ich fest, dass ich bestimmte Dinge tue oder sage, weil sie mir einen persönlichen Gewinn bringen. Ich fühle mich nämlich gut, wenn Menschen mir Zuwendung durch ihr positives Feedback geben. Doch das gute Gefühl dauert meist nur einen Moment und anschließend merke ich, dass es mich überhaupt nicht satt gemacht hat. Im Gegenteil.

Nicht gut ist auch mein Zorn. Ich kann schonmal eklig werden, wenn es nicht so läuft, wie ich es mir vorstelle. Natürlich finde ich jedes Mal genügend Argumente, um meine Sicht der Dinge als die einzig richtige darzustellen und meinen Zorn als gerecht. Das ist überhaupt nicht gut.


Manchmal steigen negative Emotionen in mir auf und beschweren meine Seele: Zweifel, Angst, Niedergeschlagenheit. Aber auch Stolz oder das Gefühl der Überlegenheit.

Tief in mir gibt es Anteile in meiner Persönlichkeit, die nicht in Ordnung sind. Die Frage ist: Was mache ich damit?


Auf diese Frage habe ich nur eine einzige Antwort gefunden:

Ich kämpfe, indem ich kapituliere.


In meinem Leben habe ich unzählige Male die Erfahrung gemacht, die vermutlich viele Menschen vor mir ebenfalls schon gemacht haben: Ich kann mich nicht ändern. Ich will, oh ja. Aber ich kriege es nicht hin. Was mich tröstet ist, dass ich in bester Gesellschaft bin, zum Beispiel in der des Apostels Paulus, der seinen diesbezüglichen inneren Kampf in seinem Brief an die Römer (Kapitel 7 und 8) mit dramatischen Worten beschrieben hat. Auch er hat kapituliert und alle seien Hoffnung auf Gott gesetzt.

Also versuche ich nicht mehr, mich zu ändern - zumindest nicht so, wie ich es früher getan habe. Meine Hoffnung ruht nun alleine auf dem Wirken Gottes an und in mir.


Vor einigen Jahren sagte Gott einmal einen etwas sperrigen Satz zu mir, der meine Sicht auf mein eigenes Wesen stark verändert hat. Er lautete: „Ich habe dich dir geschenkt“. Mit dieser Aussage Gottes hat eine Wende ihren Anfang genommen, die sich noch immer vollzieht. Langsam, aber stetig.


Nein, es ist nicht alles gut. Es geht mir auch nicht immer gut und „Alles klar“ ist nicht der Zustand, in dem ich lebe. Aber das Bewusstsein, dass ich ein Geschenk an mich selbst bin, hat mir einen Weg eröffnet, auf dem eine Veränderung zum Guten hin möglich geworden ist. Manchmal hadere ich mit Gott, wenn ich an das Geschenk denke, dass er mir mit mir selbst gemacht hat. Dann denke ich, dass ich es vielleicht mit einer anderen Persönlichkeiten als der meinen leichter haben würde. Andere Menschen scheinen mir so viel ausgewogener, souveräner, heiler oder vernünftiger zu sein, als ich es bin. Warum nur muss ich ausgerechnet mich anhalten? Leider aber kann ich mich nicht umtauschen oder zurückgeben. Es bleibt mir nur, das Beste aus dem Geschenk zu machen und genau darin erkenne ich die Aufgabe, die Gott mir mit mir selbst gegeben hat.


Ich muss mich immer wieder dafür entscheiden, dankbar für mein Geschenk zu sein. Wenn es wirklich von Gott kommt, dann hat er sich etwas dabei gedacht, es ausgerechnet mir anzuvertrauen. Vielleicht bin ich ja sogar der einzige, der mit diesem Typen, den ich geschenkt bekommen habe, etwas anfangen kann?


Dankbarkeit für mein eigenes Leben ist die Schwelle, die in den Raum der Heiligung führt - dem Ort der positiven Veränderung. Wenn ich die Bibel richtig verstehe, ist dieser Ort einer, an dem wir alle viel Zeit verbringen sollten, denn Paulus schreibt in Römer 8,29, davon, dass wir dazu vorherbestimmt sind, dem Bilde des Sohnes Gottes gleich zu werden. Das ist eine gewaltige Berufung und setzt eine grundlegende Transformation voraus, die wir niemals selbst bewerkstelligen könnten.


Der Raum der Heiligung beherbergt Gottes Gegenwart, oder besser gesagt: er ist die Gegenwart Gottes. Dort ist alles möglich. Unsere einzige Chance, den uns anvertrauten Menschen zu dem zu machen, den Gott sich vorgestellt hat ist also, ihn möglichst oft dem Licht, der Kraft und der Schönheit Gottes auszusetzen. Ganz einfach deshalb, weil Gott auf uns Menschen abfärbt.


Die Bibel spricht beispielsweise davon, dass wir Christen ein „Wohlgeruch“ für Gott und Menschen sein sollen (2.Korinther 14-15 und Epheser 5,2). Wer schon einmal einen Abend an einem Lagerfeuer verbracht und am nächsten Tag an den Kleidern gerochen hat, die er am Feuer anhatte, dem ist klar: Geruch geht nur auf uns über, wenn wir uns einer starken Geruchsquelle aussetzen. Der Duft Jesu geht ebenfalls nur auf uns über, wenn wir viel Zeit in seiner unmittelbaren Nähe verbringen.

Ein anderes Bild für denselben geheimnisvollen Akt der Transformation findet sich im selben Brief des Paulus an die Korinther, nur einige Zeilen weiter - in Kapitel 3,18: Dort spricht der Apostel davon, dass wir durch das Anschauen Jesu in dasselbe Bild verwandelt werden - und dass es der Heilige Geist ist, der dieses Werk in diesen Momenten des Schauens vollzieht. Was auf den ersten Blick wie Zeitverschwendung anmutet, ist in Wirklichkeit eine der besten Investitionen, die wir als Christen tätigen können: Jesus betrachten. Nicht Charaktereigenschaften versuchen weg zu beten, sondern in die Nähe dessen zu treten, der die Mühseligen und Beladenen zu sich ruft. Dort bei ihm findet unter seinem Blick die Umgestaltung in sein Bild statt - unspektakulär, aber dafür ganz real.*


Meine Aufgabe mit dem Menschen, den Gott mir anvertraut hat, ist, diesen immer und immer wieder in die Nähe Gottes zu bringen. Dort geschieht die Verwandlung in das Bild Jesu. Nicht auf einmal, aber Stück um Stück. Ich gebe zu: mir geht es oft zu langsam und ich schüttle innerlich immer wieder den Kopf über das langsame Fortkommen meines Geschenks. In solchen Augenblicken muss ich mir in Erinnerung rufen, dass die Schwelle zum Raum der Veränderung Dankbarkeit heißt und dass in Gottes Gegenwart der einzige Ort der Veränderung liegt.


Nein, es ist nicht alles gut bei mir. Aber es wird besser. Es wird besser mit jedem Gebet und jedem Lied, das ich an meinen Gott richte. Es wird besser in den Zeiten des Schauens und Schweigens, zu denen ich mich immer wieder auch durchringen muss. Es ist noch manches nicht wirklich gut, aber Gott sei Dank: Er ist es. Deshalb will ich in seiner Nähe sein.


 

* Wer mehr über das Schauen auf Jesus und den Prozess der Transformation erfahren möchte, dem empfehle ich den Abschnitt über „Kontemplation“ aus meinem Buch „Brannte nicht unser Herz“ oder die online-Lehren zum gleichen Thema, die auf der Webseite vom Gebetshaus zu finden sind.

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