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Corona - Zeit

Aktualisiert: 27. März 2020


Als Gründer eines Gebetshauses mit nunmehr 150 Mitarbeitern bin ich in diesen Tagen neben dem Gebet hauptsächlich mit den sich laufend verschärfenden Schutzmaßnahmen beschäftigt, welche die Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 verlangsamen sollen. Beruflich fordert mich das sehr, denn als Verantwortungsträger müssen meine Mitleiter und ich viele Entscheidungen treffen, um einerseits den staatlichen Anforderungen und unseren Mitarbeitern gerecht zu werden und andererseits herauszufinden, was wir denn eigentlich noch und überhaupt tun können und dürfen. Viele Entscheidungen werden mir von den zuständigen staatlichen Organen abgenommen, aber es bleibt ein großer Bereich übrig, in wir zu einer inhaltlichen und geistlichen Position und zu Handlungshinweisen finden müssen.


In mir herrscht zudem eine gewisse Unruhe. Mein Kopf brummt vom vielen Nachsinnen darüber, welche Haltung ich persönlich einnehmen soll, wenn es um den Umgang mit dem Virus geht. Ich habe viele Fragen: Was kann ich theologisch und praktisch nach Innen und Außen vertreten? Wie kann ich Fahrlässigkeit vermeiden, ohne in die Furchtsamkeit abzugleiten? Wie kann ich beten und was kann ich außer dem Gebet tun? Wie kann ich andere unterstützen?


In meinem letzten Blogeintrag habe ich bereits einige meiner Überzeugungen bezüglich des Umgangs mit dem Virus zum Ausdruck gebracht. Zwölf Tage sind seither vergangen.

Meine Grundhaltung hat sich nicht verändert, aber angesichts der seither ausgerufenen Einschränkungen und meinen Beobachtungen ist in meinem Herzen eine große Sehnsucht entstanden, der ich mit diesem neuen Blogeintrag ein bisschen Luft verschaffen möchte. Ein Blog ist etwas sehr persönliches, deshalb möchte ich auch diesen Text wieder als „lautes Denken“ verstanden wissen. Ich stelle wieder einmal mehr Fragen, als dass ich Antworten hätte:


Mein Herz brennt dafür, dass die Kirche in dieser Krisenzeit sichtbar wird und ihre Chance ergreift, unserer ins Trudeln geratenen Gesellschaft von Sicherheitsgläubigen eine Lebensalternative aufzuzeigen. Wie aber kann das gehen, wie praktisch werden?


Ich muss diesbezüglich an Mutter Teresa denken, der ich in meinem Buch „Majestät“ einen ganzen Abschnitt gewidmet habe. Neben anderen herausragenden Menschen, die Jesus sehr konkret und beispielhaft nachgefolgt sind, war es sie, deren Leben ich im Kapitel über „Heilige Vorbilder“ näher betrachtet habe. Sie fällt mir heute beim Nachdenken darüber ein, wie Christen bisher in Krisenzeiten reagiert haben und wie diese mit ansteckenden Krankheiten umgegangen sind. Mutter Teresa wird bis heute von vielen Menschen weltweit geachtet, weil sie sich der Herausforderung gestellt hat, den Sterbenden auf den Straßen Kalkuttas zu dienen. Sie hat sie trotz der Gefahr der Ansteckung mit tödlichen Krankheiten berührt. Sie hat sie gewaschen, versorgt und sie in ihrem Sterben begleitet. So etwas scheint im Blick auf Corona absurd.


Doch ich frage mich, ob wir als Kirche nicht zumindest etwas ähnliches tun sollten. Wäre es nicht eine Idee, wenn wir uns in dieser Krise freiwillig für diakonische Dienste melden würden? Könnten wir nicht für die alten Menschen unserer Stadt sorgen, in dem unsere Gemeinden beispielsweise anstelle Hauskreise abzuhalten zu „Einkaufsdienstleistern“ werden, an die sich alte und beeinträchtigte Menschen wenden könnten? Könnten wir nicht die Menschen praktisch unterstützen, die in den Sozialstationen arbeiten? Wäre es nicht denkbar, dass eine Kirchengemeinde Reinigungsdienste für diejenigen anbietet, die selbst nicht in der Lage sind, zu putzen? Oder könnte eine Vorlese-hotline eine Idee sein?


Ich weiß, so etwas müsste alles unter Berücksichtigung der behördlichen Vorgaben geschehen. Aber da wäre durchaus Vieles möglich. Im Augenblick ist die Zeit der großen und bunten Gottesdienste vorbei. Um ehrlich zu sein, sehe ich auch nicht wirklich, dass so viele Menschen unserer Einladung gefolgt wären, in unsere Versammlungen zu besuchen, wie wir es gerne hätten. Im Schnitt verlassen deutlich mehr Menschen die Kirche, als sich ihr anschließen würden. Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, das Evangelium in Aldi-Tüten, Putzeimer und andere Utensilien freiwilliger Arbeit zu verpacken und den Menschen zu schenken. Bisher hatten wir die Ausrede, für so etwas keine Zeit zu haben.


Heute Früh las ich in den internationalen Nachrichten, dass in der Schweiz darüber nachgedacht wird, aus Gründen der Netzverfügbarkeit Streamingdienste wie Netflix und andere vorübergehend stillzulegen. Die Überlegung zeigt auf, was viele Menschen mit der zwangsweise verordneten freien Zeit offenbar tun: konsumieren. Die Datenleitungen sind schon jetzt voll von Unterhaltung. Auch auf Social Media-Plattformen herrscht Betrieb wie kaum zuvor. Das wirft bei mir die Frage auf: was machen wir bloß mit der wegen Corona verordneten freien Zeit?


Natürlich erwartet man von mir als Gebetshausleiter, dass ich zu Gebet aufrufe. Ok, das mache ich hiermit. Aber ich möchte noch etwas anderes vorschlagen, nämlich:

Begegnung mit Gott.

In der Kirche gibt es so viel Hunger nach Gott, aber nicht ganz so viele Menschen versuchen, ihren Hunger auch bei ihm selbst zu stillen. Mir fällt dieser Hunger zum Beispiel auf, wenn ich die in den Social Media kursierenden spektakulären Video von herauswachsenden Armen oder einer aus dem Meer Chinas auftauchenden Stadt von Engeln sehe. Um ehrlich zu sein, bin ich überrascht, wie viele Christen solchen Videos ungeprüft Glauben schenken. Manchmal mache ich mir aus Frustration die Arbeit und checke die Quellen solcher Video. Bisher ist dabei leider jedes Mal herausgekommen, dass sie gefakt waren. Der „geheilten Frau“ wächst ihr Arm immer wieder und bei unterschiedlichen Versammlungen heraus, das Video der die „Engelsstadt“ bestaunenden Chinesen ist schon Jahre alt und man kann sich dieselben Bilder auch ohne das himmlische Erscheinung ansehen…

Ich glaube, dass hinter der Begeisterung so vieler für derartige Videos ein tiefer Hunger nach Gott und seinem erfahrbaren Wirken steckt. Das lässt mich darüber nachdenken, wie es wohl wäre, wenn wir uns in diesen Tagen ganz persönlich auf die Suche nach Gott selbst machen würden? Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, uns wie Forscher auf den Weg ins Unbekannte, dafür aber Wahre zu machen, um unseren Geist und Glauben nicht mehr aus zweiter, sondern aus erster Hand zu ernähren. Dabei würde sich herausstellen, dass Gott kein Fake ist und zudem noch um so Vieles wunderbarer als alle gefilmten Wunder - ob sie echt sind oder nicht.


Die Coronakrise birgt eine Chance für die Kirche in unserem Land. Ich frage mich: Werden wir sie nutzen, um anderen zu dienen und dadurch Licht und Salz zu sein? Werden wir anfangen, aus der zweiten Reihe nach vorne zu treten um Gott zu begegnen, anstatt uns von den Erlebnissen anderer zu ernähren? Wird die Kirche durch Corona erstarken oder nicht?


Ich bete von Herzen für die erste Möglichkeit.

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