Vor einigen Jahren verbrachten meine Frau und ich unsere Ferien auf einer Insel im Mittelmeer.
Eines Tages saßen wir gerade beim Mittagessen, als uns jemand ansprach und uns erzählte, dass nahe unserer Unterkunft Dreharbeiten für einen Kinofilm gemacht würden. Für die Filmaufnahmen einer Silvesterfeier, die in einem Restaurant auf einem vorgelagerten, durch einen Steg mit dem Strand verbundenen Felsen stattfinden sollten, würden noch Statisten gesucht. Ob wir nicht Lust hätten, mitzumachen?
Ich winkte ab, aber meine Frau sagte zu meiner Überraschung ja. Sie ist keine Bühnenperson wie ich, fand es aber einfach interessant, die Schauspieler bei der Arbeit beobachten zu können. So ging sie anschließend zu einem Treffpunkt, an dem die gesuchten Statisten ausgewählt wurden. Sie wurde genommen.
Noch am selben Abend sollte gedreht werden. Für die Sequenzen, die im Film nur wenige Minuten dauern, war eine ganze Nacht an Aufnahmen nötig.
Als meine Frau am nächsten Morgen von den Dreharbeiten zurückkam, erzählte sie mir von der Professionalität der Schauspieler, die sie beeindruckt hatte. Insbesondere einer der Akteure war ihr aufgefallen. Er konnte sich scheinbar von einem Moment zum anderen in den Charakter seiner Filmidentität versetzen und schien plötzlich ein anderer Mensch zu sein.
An diese Begebenheit muss ich manchmal denken. Dann frage ich mich, ob wir nicht alle in gewisser Weise Schauspieler sind, die in ihrem Alltagsleben zwischen verschiedenen Rollen hin- und her wechseln. Persönlich kann ich diese Frage nicht völlig von mir weisen, denn je nach setting und Anspruch verhalte ich mich etwas anders.
Die Unterschiede mögen nicht gravierend sein, aber es gibt sie. Ich glaube, das ist ganz normal und teilweise sogar angebracht.
Wenn allerdings die Rollen nicht mehr unserer eigentlichen Persönlichkeit entsprechen wird es schräg. Wenn wir uns in unserem Verhalten regelrecht verstellen müssen, dann müssen wir uns fragen, warum das so ist:
Wieso spielen wir diese Rolle? Weshalb verhalten wir uns so und was versprechen wir uns davon?
Ja, wir sollten uns in der Oper anders verhalten als auf dem Fussballplatz und bei einem Bewerbungsgespräch anders als beim Herumalbern mit Freunden. Aber unsere Persönlichkeit sollte nie verleugnet werden müssen. Sie macht uns aus. Ein Leben, das aus dem Ausfüllen von Rollen besteht, die wir eigentlich gar nicht spielen wollen und die uns auch nicht entsprechen, ist anstrengend und inhaltslos.
Wir sind bereits geliebt, gewollt und wertvoll - ganz ungeschminkt. Unsere Hauptrolle ist es, der Mensch zu sein, den Gott sich gedacht hat. Diese Rolle ist die schönste, die es gibt. Und Gott ist der Regisseur, der dir zeigen kann, wie das geht.
Alles Liebe. Rainer
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