Zwei Tage vor Heilig Abend 2023 entschieden meine Frau und ich uns spontan dazu, nach Israel zu fliegen.
Die beiden Wochen nach Weihnachten waren eigentlich anders geplant, aber wie so viele andere Menschen ließen auch uns die Geschehnisse in Israel nicht los, wir spürten einen inneren Zug, uns aufzumachen und nach Israel zu reisen.
Die Motivation für den Besuch war eine schlichte.
Während der über zwanzig vergangenen Reisen haben wir in Israel Freundschaften geschlossen. Dies insbesondere in der Altstadt Jerusalems, einem speziellen Ort, wo Menschen ganz unterschiedlichen Glaubens wie in einem Mikrokosmos miteinander leben und arbeiten. Unseren Freunden, aber auch Fremden, denen wir begegnen würden, wollten wir vermitteln, dass wir sie in dieser Zeit des Leides nicht alleine lassen.
Wir brachten keine Lösungen mit, sondern unsere Zuneigung, die während unseres Aufenthaltes auch zum Mit-Leid(en) wurde. Wir wollten für Israel und seine Menschen Fürbitte tun und Gott vor Ort anbeten. Wir wollten zuhören und Anteil nehmen.
Im Nahen Osten, dem Ort, an dem Jesus geboren wurde, herrschen heute vielfach Krieg, Hass und Leid. So auch jetzt, seit dem schrecklichen Massaker der Hamas-Terroristen vom 07. Oktober 23, wieder.
Vom Terrorakt und der anschließenden, militärischen Antwort Israels sind nicht einfach und anonymisiert „die Juden“ oder „die Palästinenser“ betroffen. Die Betroffenen sind Menschen, die ein Gesicht, eine Geschichte, einen Namen und eine Zukunftshoffnung haben.
Historische Entwicklungen, eschatologische Deutungen oder die Frage nach Schuld sind eine Ebene, auf der man sich denkend und beurteilend zwar bewegen kann. Aus der Nähe jedoch - das ganz persönliche Leiden, den individuellen Schmerz und die Angst um das eigene oder das Leben eines nahestehenden Menschen vor Augen - verstummen die Worte. Im Schmerz des Krieges unsere eigenen politischen oder glaubensmässigen Überzeugungen in Gesprächen vehement zu vertreten, hätte weitere Trennung verursacht. Wir haben deshalb oft geschwiegen und stattdessen - sozusagen - mit den Betroffenen im Staub ihrer Schmerzen gesessen.
Während unseres Besuchs habe ich mir auch die Frage gestellt, wie ich wohl handeln würde, wäre ich im Westjordanland als Kind arabischstämmiger muslimischer Eltern geboren worden. Wäre ich ein Kämpfer oder würde ich verstehen, dass Gewalt nur neue Gewalt gebiert? Was würde ich als (palästinänsischer) Christ tun? Was wäre meine Reaktion als Jude, wenn jemand meinen Kindern das antun würde, was am 07.10.23 getan wurde. Was als messianischer Jude oder als westeuropäischer Christ, der sich in Israel niedergelassen hat?
Die Entscheidung, gerade jetzt nach Israel zu fliegen, war eine Entscheidung, die meine Frau und ich aus Liebe getroffen haben: aus Liebe zu Israel, aber auch aus Liebe zu den Juden, Christen und Muslimen, die in der Altstadt Jerusalems täglich miteinander klarkommen müssen und das meistens auch schaffen. Die jüngsten Ereignisse allerdings haben bei allen drei Gruppen zu einer noch stärkerer Polarisierung der Positionen und der Frage nach dem Schuldigen geführt.
Wir waren manchmal überrascht von Aussagen von Freunden, weil wir sie so noch nie von ihnen gehört hatten. Wir führten viele Gespräche und haben dabei versucht, zu verstehen, wie und warum die Menschen vor Ort so denken und empfinden, wie sie es tun. Und wir wollten herauszufinden, wie wir für die Situation beten und Menschen unterstützen können.
Uns wurde allerdings auch bewußt, wie überheblich wir Christen aus dem Westen manchmal sein können, wenn wir meinen, dass die Konfliktparteien nur zu denselben - nämlich unseren - Schlüssen kommen müssten, dann würde endlich Frieden einziehen.
Vielleicht verstehen wir aufgrund der biblischen Aussagen tatsächlich manches, doch das sollte uns ins Gebet treiben und nicht dazu, Hass zu schüren.
Ich bin tief betroffen und stehe fragend vor der Situation.
Ich habe in den Tagen in Israel fürchterliche Geschichten gehört und eine Last gespürt, die unzählige Menschen fast erdrückt.
Deshalb lautet mein Gebet: Kyrie Eleison.
Und ich bete, dass der Vater aller Vaterschaft, der Gott Abrahams die Menschen der Region durch die Türe lockt, die Jesus Christus heißt und sie in sein Haus zieht - allesamt. Denn trotz aller Ratlosigkeit habe ich die Hoffnung, dass Gott die Söhne Abrahams in seinem eigenen Sohn versöhnen und vereinen wird. Habe ich dazu einen Grund? Es gibt mehr als einen, aber einen besonders schön formulierten finde ich in den Worten des Propheten Jesaja 19, 19-25:
„An jenem Tag wird mitten im Land Ägypten dem HERRN ein Altar ⟨geweiht⟩ sein und ein Gedenkstein für den HERRN nahe an seiner Grenze. Und er wird zu einem Zeichen und zu einem Zeugnis für den HERRN der Heerscharen im Land Ägypten werden: Wenn sie zum HERRN schreien werden wegen der Unterdrücker, dann wird er ihnen einen Retter senden; der wird den Streit führen und sie retten. Und der HERR wird sich den Ägyptern zu erkennen geben, und die Ägypter werden an jenem Tag den HERRN erkennen… und die Ägypter werden mit Assur ⟨dem HERRN⟩ dienen. An jenem Tag wird Israel der Dritte sein mit Ägypten und mit Assur, ein Segen inmitten der Erde. Denn der HERR der Heerscharen segnet es und spricht: Gesegnet sei Ägypten, mein Volk, und Assur, meiner Hände Werk, und Israel, mein Erbteil!
Meine Frau und ich waren in Israel, um zu beten und um zu lieben. Wir wissen, dass unser Besuch nur winziger Beitrag dazu war, Schmerzen zu lindern. Und doch waren wir berührt davon, wie dankbar er von den Nachfahren Abrahams angenommen wurde.
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