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Leben oder sterben?


Letzte Woche war ich wieder einmal zum Checkup beim Hausarzt.

Wie gewöhnlich sprachen wir auch über Themen, die nicht direkt mit meinem Gesundheitszustand (alles ok!) zu tun haben. Im Verlauf unseres Gesprächs fiel von meiner Seite aus der Satz:

„Wir sterben jeden Tag ein wenig dem Tod entgegen“.

Mein Arzt - ein lebensfreudiger und vor Energie sprühender Mann - merkte auf und widersprach mir leidenschaftlich: „Wir LEBEN jedem Tag dem Tod entgegen“.



Seine Worte brachten mich zum Nachdenken, welche der beiden Aussagen denn nun stimmt und welche davon besser beschreibt, wie ich als Christ mein Leben führe.

Natürlich sind erst einmal beide Aussagen richtig.


Biologisch gesehen stimmt es, dass durch das Schrumpfen unserer Chromosomen-Enden bei der Zellteilung, durch das Altern der Stammzellen und durch die, mit den Jahren immer schlechter funktionierenden, zelleigenen Reparaturmechanismen unser physisches Leben irgendwann endet: Wir werden jeden Tag ein bisschen weniger.


Die Worte meines Arztes waren natürlich anders gemeint. Er sprach eher von einer positiven Einstellung zum Leben selbst: Das Beste draus machen, sich jeden Tag am Leben erfreuen und sich nicht unterkriegen lassen. Da kann ich gut mit, so ähnlich könnte man meine Lebensphilosophie auch beschreiben und deshalb gebe ich dem Doktor grundsätzlich recht.

Aber: Sich mit der eigenen Vergänglichkeit auseinanderzusetzen UND zu verstehen, dass es sehr wohl ein positives, paradoxerweise zum Leben führendes, tägliches Sterben gibt, das möchte ich nicht aus den Augen verlieren und das kann ich auch mit Freude bejahen. Dabei geht es ebenfalls nicht um den Tod meiner Zellen, sondern darum, meinem Ego zu sterben. Mit "Ego" meine ich an dieser Stelle das Bild, dass wir von uns selbst haben oder gerne hätten und unsere Tendenz, uns wichtig zu machen.


Natürlich könnte man einwenden: „Aber Gott hat mich doch so geschaffen, wie ich bin - weshalb sollte ich meiner selbst sterben?“ Das ist eine gute Frage, die man wieder aus zwei Perspektiven betrachten kann:


Einerseits ruft uns die Bibel ausdrücklich dazu auf, die uns von Gott geschenkten Gaben, Talente und Fähigkeiten zu nutzen und weiterzuentwickeln. Andererseits ist sie aber auch klar in ihrer Feststellung, dass der Mensch eben nicht „edel, hilfreich und gut“ ist: Er hat durch seine Entscheidungsfreiheit die Wahl zwischen guten und schlechten Entscheidungen, die jeweils immer Konsequenzen auf ihn selbst und andere haben - positive oder negative.

Hätte Gott uns diese Freiheit nicht gegeben, so wären wir gar nicht in der Lage uns für negative Wege zu entscheiden. Dann bräuchte es auch keine Erlösung, denn wir wären ja vollkommen.

Das sind wir aber nicht: Wir wählen oft und sogar bewusst das Negative.


Wir entscheiden uns für Worte, Dinge und Verhaltensweisen, die uns den größten Vorteil versprechen, die uns in unserem Denken bestätigen und von denen wir uns eine Wertsteigerung unseres Egos erhoffen.

Man braucht nicht lange nach Beispielen suchen, um zu erkennen, dass diese Lebensführung auf Dauer toxisch ist - auch für einen selbst.


Die gute Nachricht ist, dass wir mit Gottes Hilfe in der Lage sind, die Schwächen unseres Egos im Sinne unserer Selbstbezogenheit überwinden zu können. Es gibt Heilung für die Krankheit des "Ich, Meiner, Mir".

Diese Heilung liegt im Sterben.


Mit "Sterben" meine ich den geheimnisvollen, aber sehr realen Vorgang einer besonderen Transformation: Jedes Mal, wenn wir ein Stück unseres Egos mit Gottes Hilfe überwinden und sterben lassen - was viel mit unserer Möglichkeit zu wählen zu tun hat - machen wir Christus Raum in uns und werden ihm ähnlicher. Insofern möchte ich bei meiner Aussage vor der Blutabnahme, dem EKG, dem Wiegen und anderen Erfreulichkeiten bleiben: Wir sterben jeden Tag ein bisschen - hoffentlich!


Ich will jetzt diesen Blogeintrag nicht mit den Worten "Ich wünsche dir den Tod" beenden, aber ich wünsche dir zu Beginn dieser Woche , dass du den Lebensgewinn dieser Art des Sterbens erkennst und die Schönheit des Weniger-Werdens deines Egos erfährst. Es liegt an deinen Entscheidungen.


Alles Liebe. Rainer

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