Vor ein paar Tagen bin ich zufällig auf eine Werbung für ein neu erschienenes Buch mit dem Titel „Kirche neu denken“ gestoßen.
Der Titel regte mich zum Nachdenken an und als ich etwas mehr über das Buch erfahren wollte, stieß ich auf weitere Bücher desselben Verlags. Eines heißt „Glauben neu denken“ und ein zweites „Gott neu denken“.
Bevor ich die Gedanken niederschreibe, die ich bezüglich der drei Titel habe, will ich fairerweise sagen, dass ich bisher keines der Bücher selbst gelesen habe. Mir geht es im Folgenden allerdings auch nicht um eine Buchkritik, sondern mehr darum, welche Überlegungen die Titel bei mir auslösen.
Es vergeht kaum eine Woche, in der ich nicht irgendwo eine weitere Stimme höre oder ein neues Buch entdecke, die von dem Neuen sprechen, das auch in den drei Buchtiteln auftaucht. Die Bücher und Stimmen bringen die Überzeugung zum Ausdruck, dass es so wie bisher mit dem Glauben an Gott, dem Umgang mit der Bibel und der Form von Kirche nicht weitergehen kann. Dieser Grundaussage stimme ich völlig zu.
Was ich bei all den Überlegungen vermisse, ist der Blick zurück - und zwar weit zurück. Es gab schließlich eine christliche Kirche weit vor der aktuellen Krise, vor 1968 und vor der Epoche der Aufklärung im 18. Jahrhundert. Es gab seit Bestehen des christlichen Glaubens auch immer wieder erstaunliche geistliche Aufbrüche. Warum schauen wir nicht auch zurück, um als Kirche zu lernen und dann weiter nach vorne zu gehen? Warum lernen wir nicht von den Einzelpersonen, die Erweckungen angestoßen haben und von den Gruppierungen und Gemeinschaften, die als Christen ihre Umgebung verändert und segensvoll gewirkt haben?
In Bezug auf den Einfluss von Büchern haben mich die Berichte und Biographien der „Alten“ wohl am stärksten geprägt. Sie haben mich auf die Suche nach Gott gehen lassen, sie weckten in mir eine Leidenschaft für ihn und eine gesunde Radikalität im Glauben. Mir hat der Blick zurück auch mehr Leben und Zukunftshoffnung gegeben als das angestrengte Kopfzerbrechen darüber, wie die Kirche, Gott und mein Glaube in Zukunft gelebt, verstanden und verkündigt werden müsse.
Wenn ich die „Alten“ anschaue, die „Kirchengeschichte“ geschrieben haben, fällt mir eines auf: Sie blickten zurück um nach vorne zu gehen. Sie entdeckten die verlorengegangene Schätze der Heiligung, des Gebets, des Gehorsams und eines kindlichen Glaubens wieder. Sie passten sich der jeweiligen Epoche nicht an, sondern stachen durch ihre Hingabe an Gott aus der Menge heraus. Sie waren Stolpersteine, Ärgernisse, Exoten und sie waren unbequem. Sie ließen sich nicht von der Überzeugung abbringen, dass die Bibel Gottes Wort ist und ihre Aussagen glaubwürdig sind. Während andere diskutierten, gingen sie auf ihre Knie und beteten jeden Tag stundenlang, bis der ersehnte Aufbruch kam. Sie waren bereit, ihr Leben vor Gott niederzulegen - und dies nicht nur im übertragenen Sinne.
Ich kann die Bücher und Vorträge nicht zählen, die in den letzten Jahren zu der Frage nach der Zukunft der christlichen Kirche geschrieben und gehalten wurden. Aber bis heute hat meiner Beobachtung nach keines eine nur ähnliche positive Bewegung ausgelöst wie die einfachen Christen, die hinter den großen Erweckungen der Geschichte stehen, die als Antwort auf geistliche Dürre in ihrer Umgebung fasteten und beteten.
Ich frage mich, warum wir angesichts der vielen historischen Zeugnisse nicht die Frage stellen, ob die Zukunft der Kirche nicht vielleicht in der Rückbesinnung auf ihren Anfang liegen könnte.
Mich überzeugt weder der Dekonstruktivismus, noch eine Emerging Church, noch der Versuch, die Bibel neu erklären und an unsere Zeit anpassen zu wollen. Dagegen überzeugen mich Früchte, die hervorgerufen werden durch die Schätze, die ich oben beschrieben habe. Uns stünde die Demut gut, einfach das zu tun, was die Bibel sagt. Ich wünschte mir, das sich die prägenden theologischen Autoren und Denker von heute gemeinsam an eine Analyse der Vergangenheit machen, um daraus Schlüsse für heute und für die Zukunft zu ziehen.
Im Augenblick aber sehe ich das Gegenteil. Bedeutende Hinweise auf ein Wiedererblühen der Kirche, das sich aus den ungezählten Stunden, die anstatt im Gebet am Schreibtisch, in Diskussionsrunden oder Konferenzen verbracht wurden ableiten würden, sehe ich leider nicht.
Ich weiß, ich bin nur ein kleines Licht. Dennoch hoffe ich darauf, dass die größeren Lichter, die ein Buch nach dem anderen über die Zukunft der Kirche schreiben, ebenfalls erkennen, dass bei allem Nachdenken über die Zukunft die Analyse der Vergangenheit ein hilfreiches, inspirierendes Mittel ist, um die Kirche der Zukunft zu gestalten. Das erfordert Mut, Demut und den Glauben an einen Gott, der größer ist als unser Denken und unsere Vorstellungen.
Alles Liebe. Rainer
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