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Ich bin traurig


Ich bin traurig. Es hat mich wieder etwas sehr getroffen, das mich eigentlich nicht mehr so überraschen sollte. Doch es tut trotzdem jedes Mal richtig weh, wenn es dann passiert.

Wieder steht im Raum, dass ein Leiter gefallen sei. Wieder kommen Dinge ans Licht, die unaussprechlich sind und die niemand vermutet hätte, der den betreffenden Leiter so geschätzt hat wie ich. Es wäre schrecklich, wenn die Vorwürfe wirklich wahr sind. Hoffentlich nicht.

Mein Schmerz rührt nicht so sehr vom Ausmass der Verfehlungen her, die derjenige begangen haben soll. Ich bin nicht vor allen Dingen schockiert über die Dinge, die ihm vorgeworfen werden, sondern darüber, dass auch er vielleicht ein geheimes Leben geführt hat, von dem niemand etwas wusste.


Fast dreieinhalb Jahrzehnte gehöre ich zu Jesus. In dieser Zeit habe ich nicht wenige Leiter fallen sehen. Zu einigen von ihnen habe ich aufgeblickt, von ihnen gelernt und ihnen vertraut. Jedes Mal, wenn ein neuer Skandal, gleich einem Erdbeben, das einen tiefen Riss in einer wunderschönen Landschaft hinterlässt, an das Licht der Öffentlichkeit trat, war meine Reaktion die gleiche und sie ist es bis heute. Trauer und Schmerz erfüllen mich.



Dann stelle ich mir Fragen.


Erstens: Wie konnte der betreffende Mann (und es sind in der Regel Männer) jahrelang ein Doppelleben führen? Wie hat er es geschafft, öffentlich vor so vielen Menschen zu stehen und von der Liebe, Größe, Gerechtigkeit, Gnade und den Wundern Gottes zu sprechen, um sich anschließend in seinem Hotelzimmer bis zur Bewusstlosigkeit zu betrinken oder Drogen zu nehmen. Wie konnte er über Heiligkeit sprechen und sich zugleich mit Prostituierten treffen oder Mitarbeiterinnen sexuell zu belästigen?


Ich weiß um die Anfälligkeit von Männern im Bereich der Sexualität, davon zeugen nicht nur König David, Simson und andere Helden der Bibel, sondern auch meine eigenen Beobachtungen im Kreis der Männer, die ich kenne. Und dennoch versetzt es mir jedes Mal einen Schlag, wenn ein Leiter in diesem Bereich fällt. 

Wie nur konnte er - ganz im Unterschied zu König David, der sogar den Mann einer Frau in den Tod schickte, damit er sie besitzen konnte - seine Sünde geheim halten und fortführen? Wie konnte er überhaupt noch vor dem Gott stehen, der von sich sagt, dass er ein verzehrendes Feuer ist? David wurde fast verrückt wegen seiner Sünden - warum er nicht?

Zweitens: Wo sind die Freunde, Beichtväter, Berater und Gebetspartner dieses Mannes gewesen?


Wenn ich mir Leiter in meinem Umfeld ansehe, dann fällt mir immer wieder auf, dass sie einsam sind. Damit meine ich nicht, dass sie keine Menschen um sich herum hätten. Bewunderer, Nachfolger, Kritiker und Feinde gibt es jeweils genügend - aber echte Freunde sind Mangelware. 

Die Gründe dafür, warum schon wieder ein Leiter gefallen ist, finden sich meiner Beobachtung nach in den Antworten, die ich auf die obigen Fragen gefunden habe. Vielleicht sind es nicht die einzigen Antworten, aber es sind aus meiner Sicht die wichtigsten.

Erstens: Wer seine persönliche Beziehung zu Gott von der ersten Stelle seines Lebens weggerückt hat, der ist bereits auf die Straße des Verlierens abgebogen.

Das einzige was uns davon abhalten kann, den Trieben, Lüsten und Schwächen unseres Egos (das die Bibel „Fleisch“ nennt), nachzugeben, ist die Furcht Gottes und die Erfahrung seiner Liebe. Wer ihn kennt und wessen Bestreben es ist, Gott immer näher zu kommen und zu werden wie sein Sohn, der kann nicht leicht in ein Doppellleben abrutschen. Wer sich intensiv und fortlaufend mit dem Wesen Gottes, seiner Gnade, Schönheit, Heiligkeit und Liebe auseinandersetzt, der erkennt, dass der sicherste Platz für ihn im Zentrum des verzehrenden Feuers Gottes ist.

Zweitens: Wer alleine kämpft, hat schon verloren. Eine der ersten Aussagen, die Gott über den Menschen macht, lautet: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.“

Wir brauchen das Gegenüber eines oder mehrerer Menschen, vor denen wir "nackt" sein können, ohne uns schämen zu müssen. Ohne das korrigierende und liebende „Du“ verkommt das „Ich“ zu einem ungezügelt die eigenen Befriedigung wollenden Despoten, das uns schließlich weg v