Wie schön ist Ihre Beziehung zu Gott? Welche Reaktion löst die Begegnung mit ihm bei Ihnen aus? Hat Ihr Beten, Singen und unsere Bibellese etwas mit Schönheit zu tun?
Um diese Fragen beantworten zu können, müssen wir zuerst „Schönheit“ an sich definieren.
Mit der Frage des Schönen haben sich unzählige Philosophen, aber auch Theologen beschäftigt. Das Schöne ist trotz aller Betrachtung durch die großen Denker seit den Zeiten der Antike bis heute noch immer geheimnisvoll geblieben, auch wenn der Begriff der Schönheit in der Postmoderne fast ausschließlich auf das äußere Erscheinungsbild eines Menschen reduziert ist. Früher aber wurde Schönheit als eine geheimnisvolle und verführerische Kraft verstanden, die auf besondere Weise auf die Seele des Menschen einwirkt.
Die Philosophie kam zum Schluß, dass Schönheit zu den drei großen Leitideen des menschlichen Geistes gehört und damit in einer Reihe neben dem Wahren und dem Guten steht. Ein unterschwelliger Antrieb in uns lässt uns von diesen drei angezogen werden wie ein Magnet. Niemand wählt grundsätzlich das Gegenteil: das Hässliche, die Lüge und das Böse.
In uns allen gibt es ein Verlangen nach Schönheit, eine Sehnsucht also, die uns dem Schönen entgegenstreben lässt. Denken Sie an Ihren nächsten Urlaub: Ich gehe davon aus, dass Sie sich zum Ausspannen nicht die städtische Müllkippe ausgewählt haben.
Unser Empfinden von Schönheit wird natürlich geprägt von unterschiedlichen Einflüssen. Die Prägung unseres Sozialverhaltens, unsere Erziehung und unterschiedliche Bewertungsziele in unserem Leben und weitere Faktoren bestimmen unsere individuelle Vorstellung dessen, was wir als schön empfinden. Aber nach dem Schönen an sich streben alle Menschen, was die Fragen aufwirft, ob es eine allgemein gültige Schönheit gibt, die keinen Konventionen und keiner zeitgeschichtlichen Strömung unterworfen ist und woher dieses Streben stammt.
Schönheit zieht uns an, weil sie etwas mit uns macht, das uns gut tut. Schönheit ist mächtig und kann uns regelrecht gefangen nehmen. Laut dem bekannten Psychologieprofessor mit dem fast unaussprechlichen Namen Csíkszentmihályi, ähnelt die Erfahrung von Schönheit dem sogenannten Flow-Konzept, welches er beschrieben hat. Im Zustand des "Flow" sind wir Menschen intensiv in das eingetaucht, was wir tun. Wir sind dann so stark auf ein bestimmtes Objekt fokussiert und von diesem so fasziniert, das wir regelrecht davon absorbiert werden und unsere Sinne nur schwer etwas anderes wahrnehmen können.
Tatsächlich gibt es sogar eine Art Krankheit, die mit Schönheit zu tun hat: das Stendhal-Syndrom. Es tritt meist auf, wenn der unbedachte Mensch sich einer Reizüberflutung - z.B. durch Kunst - gegenüber sieht. Überwältigt von Schönheit können Symptome wie Denk- und Wahrnehmungstörungen, unvermittelt tiefe Schuldgefühle, erhöhter Blutdruck, ja sogar Panikattacken, und Ohnmachtsanfälle auftreten. Mich erinnert das Stendhal-Syndrom an die Berichte der Gottesbegegnungen in der Bibel. Auf diejenigen, denen Gott begegnete, hatte seine Gegenwart sehr ähnliche Auswirkungen. Könnte das ein Hinweis darauf sein, dass derjenige, der Gott begegnet, zugleich mit einem Überfluss an Schönheit konfrontiert wird?
Schönheit macht uns neugierig. Sie lässt in uns ein Signal ertönen, das uns auffordert, unsere Aufmerksamkeit weiterhin auf das Objekt des Schönen gerichtet zu halten, weil wir spüren: hier gibt es Etwas, das es wert ist, näher betrachtet zu werden. Wenn wir ein Gedicht lesen, verlangsamt eine besonders schöne Zeile tatsächlich unsere Lesegeschwindigkeit, oder wir halten automatisch inne und wollen herausfinden, was die Worte bedeuten.
Der Neurobiologe Professor Semir Zeki hat festgestellt, was alle Bilder, Körper, Landschaften, Klänge, Formeln und sogar Handlungen miteinander verbindet, die wir Menschen als schön empfinden: Sie gehen mit derselben Hirnreaktion einher. Wann immer Menschen eine ästhetische Erfahrung machen, wird eine Region im Stirnlappen des Großhirns, die sich hinter der Augenhöhle befindet, aktiv und es kommt zur Ausschüttung von Glückshormonen. Diese Region - der orbifrontale Kortex - gehört zum sogenannten emotionalen Gehirn. Interessanterweise ist er auch dann stark aktiv, wenn wir jemanden lieben.
Nun sagt die Bibel ja, dass Gott selbst Liebe ist. An dieser Stelle schließt sich der Kreis und ich komme wieder zu den obigen Fragen. Ja, ich glaube sehr wohl, dass unsere Beziehung zu Gott schön sein kann. Und ich bin davon überzeugt, dass unser Beten, Singen und unsere Bibellese sehr viel mit Schönheit zu tun haben. Wenn unsere Beziehung zu Gott nämlich eine Liebesbeziehung ist und wir verstehen, das wir in der Begegnung mit ihm zugleich der personifizierten Liebe begegnen, dann wird etwas ähnliches in uns hervorgerufen werden wie bei der Betrachtung eines wunderschönen Sonnenuntergangs. Die alten Mystiker berichten von Glückserfahrungen in Gottes Gegenwart, die uns zu großen Teilen verloren gegangen sind, weil wir Gottes Schönheit aus dem Blick verloren haben. Wenn wir hingegen wie der große Kirchenlehrer Thomas von Aquin, verstehen, dass Gott selbst Schönheit ist, wird unser orbifrontaler Kortex vor Glück überströmen.
Der Prophet Jesaja war es, der die berühmt gewordenen Worte gesprochen hat, die Jesus bei seinem ersten öffentlichen Auftreten zitiert und auf sich bezogen hat. Sowohl Jesaja als auch Jesus stellen mit dieser Aussage eine direkte Verbindung zwischen Erlösung und Schönheit her:
Der Geist des Herrn, HERRN, ist auf mir; denn der HERR hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, den Elenden frohe Botschaft zu bringen, zu verbinden, die gebrochenen Herzens sind, Freilassung auszurufen den Gefangenen und Öffnung des Kerkers den Gebundenen auszurufen das Gnadenjahr des HERRN und den Tag der Rache für unsern Gott, zu trösten alle Trauernden, den Trauernden Zions Frieden, ihnen Kopfschmuck statt Asche zu geben, Freudenöl statt Trauer, ein Ruhmesgewand statt eines verzagten Geistes, damit sie Terebinthen der Gerechtigkeit genannt werden, eine Pflanzung des HERRN, dass er sich durch sie verherrlicht.
Lukas 4,18-19
Unser Glaube hat also direkt mit Schönheit zu tun. Das Geheimnis der besonderen Anziehungskraft der Schönheit liegt in der Hindeutung auf Gott. Er ist die Schönheit, in ihm hat Schönheit ihren Ursprung und auf ihn hin deutet sie.
Stellen Sie sich eine Kirche vor, die das glaubt und in der deshalb Gottes Schönheit eine tragende Rolle spielt. Eine Kirche, in der die Liebe zwischen Gott und den Menschen an erster Stelle stünde und die aus diesen Gründen ein Ort des Glücks wäre. Vielleicht denken Sie, dass sich das wie eine Illusion anhört. Ich glaube, diese Vorstellung entspricht tatsächlich viel mehr dem biblischen Bild von Gott und der Beziehung zu uns Menschen, als manches andere, dass wir noch immer hartnäckig für richtig halten, obwohl uns an allen Ecken die Felle davonschwimmen.
Eine schöne Kirche, die schön ist, weil sie den unfassbar schönen Gott kennt, danach sehne ich mich. Wäre es nicht schön, wenn wir uns in diese Richtung entwickeln würden?
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